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    Aus eigener Kraft über die Alpen

    Gastautoren
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    Keiner von uns konnte sich wirklich vorstellen, auf was wir uns einließen, als wir uns bereit erklärten, beim „Red Bull Der Lange Weg“ mitzumachen. Die Route führte über den kompletten Alpenhauptkamm, von Ost nach West. Ziel war es, die Strecke von Wien nach Nizza in weniger als 40 Tagen zu schaffen, um den 1971 von vier Österreichern aufgestellten Rekord zu brechen. Das war die Tour unseres Lebens, so stand fest! Doch wenn wir jetzt zurückblicken – haben sich unsere Erwartungen erfüllt? Schwer zu sagen, denn das einzige, was wir im Vorfeld wussten, war: Es wird schwer werden, richtig schwer. Und lang. Wie also soll ich diese 36 Tage in einigen wenigen Zeilen beschreiben? Das ist quasi unmöglich! Auf halber Strecke konnten wir uns kaum mehr daran erinnern, was am Anfang war, nicht einmal wenn wir uns Bilder von Sachen ansahen, die gerade erst zwei Wochen zurücklagen. Unsere Erinnerungen waren wie weggeblasen von all den neuen Abenteuern und Eindrücken, die Tag für Tag auf uns einprasselten! Wir haben hart trainiert, sehr hart. Ehrlich gesagt war ich nie zuvor so fit. Nicht fit im Sinne von schnell, wie für ein Rennen, sondern intensiv vorbereitet auf lange Stunden am Berg, anspruchsvolle Gratüberquerungen, das Tragen von Ausrüstung für alle Eventualitäten, bereit für das Unbekannte, den Kampf gegen die Kälte und gegen die Geister, die uns ausbremsen und am Weiterkommen hindern wollten. Aber wir haben es geschafft! Wir haben unseren Weg über massive Gletscher gefunden, ohne Sicht und nur mithilfe einer kleinen blauen Linie auf unseren GPS-Uhren. In der Hoffnung, dass wir die Route richtig geplant hatten und im Wissen, dass es keinen anderen Weg über den Höhenzug gab. Im kleinen Bivacco Biagio Musso wären wir beinahe auf 3.700 Metern Höhe stecken geblieben, nach 14 Stunden auf der Haute-Route, als ein Sturm mit 100 km/h unsere Ski buchstäblich davon blies. Bei diesen schwierigen Bedingungen war zuverlässiger Wetterschutz absolut wichtig. Wir hatten so oft eisige Finger, bitterkalte Nächte im Wohnmobil, wenn uns das Gas ausging, und klamme Schlafsäcke – denn mit drei Personen in einem Camper war es unmöglich, unsere gesamte Ausrüstung in einigen wenigen Stunden trocken zu bekommen. In Südtirol mussten wir aufgrund der hohen Lawinengefahr einige längere Umwege in Kauf nehmen und lange Strecken an der Straße entlang gehen. Und schließlich mussten wir knapp 100 Meter vor unserem wichtigsten Einzelziel – dem Mont Blanc – umkehren. Aber unsere Gesichter waren gefroren, frische Serac-Abbrüche lagen auf der Spur und ein kleineres Schneebrett hatte sich gelöst, sodass wir entschieden, bei dieser schlechten Sicht nicht weiter zu gehen. Das war schlimm! Wir waren alle total enttäuscht. Die Stimmung war ziemlich pessimistisch und dabei lag unser eigentliches Ziel noch in weiter Ferne. Doch gerade als unsere Motivation fast am Nullpunkt angelangt war, wurde das Wetter auf einmal besser und blieb überraschenderweise die ganze Zeit, die wir im französischen Département Alpes-Maritimes unterwegs waren, stabil. Wir erlebten wunderschöne Sonnenaufgänge, mit einer solchen Farbenpracht, dass uns fast die Augen brannten und wir gar nicht mehr aufhören konnten zu fotografieren. Wir ließen unsere GORE-TEX Fäustlinge im Camper, nahmen Shorts mit und trugen unsere Daunenjacken nur frühmorgens auf den Gipfeln. Gegen Mittag kehrten wir kurz ein und liefen am Nachmittag in Shorts und kurzärmlig weiter. Ski, Stiefel und Stöcke hatten wir am Rucksack befestigt. Perfekter konnte das Leben nicht sein! Als wir das Camp erreichten, hatte unser Koch sogar schon das Essen fertig. (Tausend Dank Fritz, für deine grandiose Unterstützung. Ohne dich hätten wir das nicht geschafft!) Wir konnten in der Sonne chillen und unsere Ausrüstung für den nächsten Tag vorbereiten – barfuß. Einziger Nachteil war, dass wir schon zwischen zwei und drei Uhr nachts aufbrechen mussten, da die Temperaturen am Vormittag so schnell anstiegen. Auf Bruchharsch abzufahren ist um ein Vielfaches sicherer und schneller als im Sulzschnee festzustecken. Für mich als Nachtmensch, der normalerweise nicht vor Mitternacht ins Bett geht, war das hart. Aber man gewöhnt sich irgendwie daran. Leider mussten Nuria Picas aus Spanien und Tamara Lunger aus Südtirol aufgeben. Nuria stellte fest, dass sie mental nicht ausreichend auf unsere 12-Stunden-Tage vorbereitet war und hatte Probleme mit ihren Füßen (Blasen, Druckstellen etc.). So entschied sie sich nach Tag 11 und der erfolgreichen Besteigung des Großglockners, Österreichs höchstem Gipfel, aufzuhören. Tamara hatte große Probleme mit dem Schienbein. Trotzdem ging sie über eine Woche lang weiter. Dass muss man sich mal vorstellen! Beugt man den Fuß, dann sieht man unterhalb des Knies die Wadenbeinmuskulatur. Der Ansatz dieser Muskulatur war bei ihr entzündet. Und jetzt überlegen wir mal, wie oft man den Fuß beugt, wenn man 50 km pro Tag zu Fuß oder auf Skiern zurücklegt. Ich weiß, dass Tamara eine Kämpfernatur ist, aber ich habe keine Ahnung, wie sie so lange durchhalten konnte! Jeden Tag mussten wir haufenweise Entscheidungen treffen: Können wir über diesen Hang abfahren? Hier lang oder dort lang? Welche Ausrüstung sollen wir mitnehmen? Wollen wir so schnell und leicht bepackt wie möglich unterwegs sein oder lieber auf Nummer sicher gehen? Ist es besser, über den Berg zu gehen oder sollen wir auf der Straße bleiben? Die richtige Route zu finden ist ein fortwährender Prozess, eine Entwicklung. Man wägt ab zwischen dem, was man weiß, was man sieht und was man kann. Wir sind durch viele Höhen und Tiefen gegangen. In Extremsituationen offenbart sich dein wahres Ich, da hast du keine Chance, irgendetwas zu verstecken. Am Anfang war das nicht einfach, aber inzwischen kennen wir einander ziemlich gut. Für mich persönlich ist das einer der Gründe, warum ich sofort wieder dabei wäre, auch wenn ich unterwegs manchmal etwas anderes gesagt haben mag. Also: Was gehen wir als nächstes an?!? ;-)

    Autor: Philipp Reiter

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