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    Herz sagt, Bauch sagt. Tamara hört zu. Und macht.

    Joachim Stark
    Joachim Stark

    Tamara Lunger besteigt Achttausender, aber nur, wenn der Berg sie ruft. Sie absolviert Ultrarennen, aber nur, wenn es für sie Sinn macht. Und auch sonst macht sie eigentlich nur, was ihr taugt. Bei allem lässt sie sich von ihrem Gefühl leiten. Hach, diese Mädels und ihre Gefühle. Aber Stop: Wir reden hier nicht von Gefühlsduselei. Sondern von einer Frau, die rational sehr genau weiß, auf was sie sich einlässt, wenn sie auf ihr Herz und ihr Bauchgefühl hört. „Ich bin eine Träumerin, verliebt in die Berge“, sagt sie über sich. Dieses Statement hat sie auch auf ihrer Website stehen (tamaralunger.com) und ich glaube, das trifft es ziemlich genau. Wobei diese Selbstauskunft ein paar Dinge unterschlägt. Bei aller Träumerei und Liebe bleibt sie nicht auf der Couch liegen und fliegt von einem Tagtraum zum nächsten. Tamara hört zu, hört auf sich, steht auf und macht. Und das mit einer unglaublichen Energie. Wenn sie etwas für eine gute Idee hält und das Gefühl stimmt, dann spielt es auch keine Rolle, ob das gesteckte Ziel eine absolute Weltklasseleistung voraussetzt. Das kriegt sie dann schon hin. Da vertraut sie auf sich, den lieben Gott und die Einschätzung ihrer engsten Vertrauten: „Meine Mutter hat mich immer gehen lassen. Wenn ich selber mal Zweifel hatte, hatte sie immer Vertrauen in mich. Nicht nur in das, was ich kann, sondern dass ich die richtige Entscheidung treffe. So ein Vertrauen und Zutrauen, das macht dich schon stark, weil es dir Halt gibt.“

    Herz sagt, Bauch sagt

    Manchmal sagt der Bauch: Hinauf! So wie 2014 am K2, den sie ohne Hilfe von Sherpas und ohne künstlichen Sauerstoff bestieg. Eine absolute alpine Spitzenleistung. Manchmal sagt der Bauch aber auch: Hinunter! Wie 2016, als sie kurz vor dem Gipfel des Nanga Parbat beim Versuch der ersten Winterbesteigung umgekehrt ist. Ebenfalls eine Weltklasseleistung – sowohl der Aufstieg wie auch der Abstieg. Aber ihr Bauch sagt ihr niemals etwas, ohne vorher ihr Herz konsultiert zu haben. Dieses hat Tamara am rechten Fleck und es funktioniert bei der Ausdauerathletin nicht nur als Blutpumpe, sondern auch als Ratgeber sehr gut. Tamara Lunger ist keine von den jungen Wilden mehr, die plötzlich auftauchen und die Szene rocken. Die Südtirolerin wurde neulich 30 Jahre alt. Aber als Alpinistin trat sie so richtig erst vor sechs Jahren auf den Plan, als sie als damals jüngste Frau den Lhotse bestieg (mit 8516 Metern Höhe der vierthöchste Berg der Welt). Es war kein Donnerhall, der die Szene aufhorchen ließ, dafür sind der Lhotse Normalweg und Tamaras Leistung nicht wichtig genug. Für Tamara selbst war es aber eine neue Biegung in ihrem Lebensweg: Die hohen Berge würden fortan eine große Rolle für sie spielen. [gallery ids="1721,1722,1723,1724,1725,1726,1727"]

    Wettkampf im Blut, den Schweinehund als Gegner, den Berg als Freund

    Einen Namen hatte sich Tamara zuvor in anderen Sportarten gemacht. Im Skibergsteigen in Italien kam man jahrelang um den Namen Lunger nicht herum. Schon ihr Vater Hansjörg war ein erfolgreicher Skibergsteiger. Tamara bezeichnet ihn als großes Vorbild. Mit 16 trat sie in seine Fußstapfen, feierte bald Erfolge und wurde in die italienische Nationalmannschaft aufgenommen. 2006 und 2008 wurde sie Staatsmeisterin. Bei der Pierra Menta (neben der Patrouille de Glaciers und der Trofeo Mezzalama eines der wichtigsten Skitourenrennen) war Familie Lunger gleich doppelt auf dem Podium vertreten: Tamara siegte 2007 und 2008 in ihrer Altersklasse, während ihr Vater jeweils die Silbermedaille in der offenen Klasse gewann. 2008 wurde Tamara außerdem U23-Weltmeisterin auf der Langdistanz. Doch eigentlich ist es fast egal, was sie anpackt: Erfolg hat sie immer. Denn Erfolg ist für Tamara in erster Linie ein gelungenes Leben, nicht so sehr der Erfolg im Sport. Die Einstellung macht's. Mit 14 träumte sie davon, einmal einen Achttausender zu besteigen. Aber erstmal wurde sie Italienische Vizemeisterin im Orientierungslauf. Ein Talent zum Ausdauersport hat sie offensichtlich, gute Voraussetzungen also für ihre Skitouren-Rennkarriere und die 8000er. Aber halt, so einfach lässt sich Tamaras Weg nicht nachzeichnen: 2004 und 2005 wird sie Italienische Vizemeisterin im Diskuswerfen. Diskuswerfen? Auf nationalem Niveau? Daran ist ihr Knie schuld. Denn neben allen Stärken hat Tamara auch große Schwächen: Seit ihrer Jugend hat sie Schmerzen im Knie. Irgendwann waren sie zu groß, Tamara hörte mit dem Laufen auf und probierte etwas anderes. Ihre Knieschmerzen wurden besser. Aber trotzdem: „Nach einer Weile hab ich das Diskuswerfen wieder sein gelassen. Weil, wennst das lange machst, dann wirst ja eine Tonne, und ich wollte so nicht enden wie manche andere“, schmunzelt Tamara. Sie begann wieder mit Skitourenrennen.

    In den Bergen zuhause, in der Familie daheim

    Tamara ist in den Bergen und mit den Bergen groß geworden. Ihre Eltern bewirtschaften das Schutzhaus Latzfonser Kreuz, oberhalb von Klausen in Südtirol auf 2300 Metern Höhe gelegen. Direkt neben dem Haus befindet sich die gleichnamige Kirche, eine bekannte Pilgerstätte und der höchstgelegene Wallfahrtsort Europas. Mit dieser Kirche ist Tamara aufgewachsen. Sie bezeichnet sich als sehr gläubigen Menschen. Vor jeder Expedition lässt Tamara in der Kirche Latzfonser Kreuz eine Messe lesen. Sonntags geht sie indes nicht hin: keine Zeit. Denn wenn Tamara mal nicht auf Expedition ist, hilft sie beim Hüttenbetrieb mit. Rund um den Farragosto (Mitte August), wenn sich halb, ach was, ganz Italien in die Ferien aufmacht, bleiben auch die schönsten Orte in Südtirol von den Menschenmassen nicht verschont und Tamara knüppelt als Bedienung und in der Küche ran. Mit dieser Erfahrung hat sie auch schon auf dem Münchner Oktoberfest bedient. „Die Wiesn ist härter als der K2“, ist so ein typischer Tamara-Satz.

    „Wenn ich leide, bin ich zufrieden“

    Hart sollte es schon sein, wenn sie was anpackt. Tamara will immer wissen, was noch geht. Ihre Knieschmerzen begleiten sie nach wie vor. Mit konsequenter Physiotherapie, Meditation und einem positiven Denken hat sie ihren Körper mittlerweile ziemlich gut im Griff. Bergläufe sind wieder Teil ihres sportlichen Lebens und natürlich grundlegend für ihre Ausdauer. 2013 belegte sie ohne große Vorbereitung beim GORE-TEX Transalpine Run den zweiten Platz. Im Jahr darauf konnte sie das Rennen (wieder zusammen mit Laufpartnerin Annemarie Gross) sogar gewinnen – auch wenn es sehr weh tat. Jeden Tag musste sie sich von Muskelschmerzen gepeinigt zwingen, weiterzumachen. „Aber ich wollt es halt, und ich lauf ja nicht nur für mich selber, sondern hab eine Partnerin, für die ich mitverantwortlich bin“, sagt Tamara. „Und irgendwie ist es schon so, wenn ich leide, bin ich zufrieden.“ Sie lacht: „ Also hinterher vor allem.“ Am Nanga Parbat hat sie sich beim Abstieg verletzt, Schulter und Sprunggelenk lädiert. Danach konnte sie nicht ganz so Gas geben, wie sie es gerne getan hätte. Aber hadern? Macht für sie keinen Sinn. Dann verwirklicht Tamara eben andere Träume, die nur indirekt etwas mit den Bergen zu tun haben. „Ich wollte schon immer Hubschrauberpilotin werden, aber die Kosten und der Zeitaufwand waren immer zu groß. Nach dem Versuch am Manaslu im Winter 2015 hat mich Simone Moro wieder drauf gebracht. Er fliegt ja selber Helikopter und macht in Nepal auch Rettungseinsätze. Und das ist ja mein ultimativer Traum: Dort im Himalaja zu fliegen. Damit kannst du den Leuten dort was zurück geben, wenn du schon selber so viel von dem Land bekommen hast, was für dein Leben was zählt: Erlebnisse, Eindrücke, Erfahrungen.“

    Freude an kleinen und großen Sachen

    Wenn man Tamara irgendwo trifft, sind meistens ein paar Leute um sie herum, die gut gelaunt sind. Das verwundert nicht, denn auch Tamara ist meistens gut gelaunt und steckt andere an. Dass sie privat, wenn keiner zusieht , auch mal sehr schlecht drauf sein kann, lässt sich erahnen, wenn man ihre Facebookeinträge liest. Diese sind oft sehr direkt, ehrlich und offen. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und erlegt sich keine Schreibzensur auf: Wenn ihr was missfällt und ihre Gefühlslage ins Wanken bringt, dann drückt sie das unmissverständlich aus. Was ihr besonders auf den Senkel geht, sind Scheinheiligkeit und Heuchelei. Am Berg, aber auch zwischenmenschlich. Das Gefühl muss eben stimmen, bei allem, was sie in Angriff nimmt. Ob es was „kleines“ ist wie drei Tage Wandern im Rahmen eines Inklusionsprojekts mit behinderten und nichtbehinderten Kindern oder was „großes“ wie die Winterbesteigung des Nanga Parbat.

    Dokumentation BR Fernsehen/ARD:

    Inklusionsprojekt, das Tamara seit Jahren ehrenamtlich unterstützt:

    Joachim Stark Joachim Stark

    Joachim Stark

    Alpinexperte in Theorie, Praxis, Bild und Text. Joachim ist Allround-Bergsportler: Alpin-, Eis- und Sportklettern, Skitouren, Mountainbiken stehen auf seiner Freizeitliste – wenn er neben Pressearbeit, Fotografie, Grafik- und Layoutarbeit für Unternehmen aus der Outdoorbranche freie Zeit findet. Für die Marke GORE-TEX arbeitet er seit 2012 als freier Mitarbeiter.

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